Manager auf Zeit
hub highlights 2018

09.04.2019
Manager und Managerin schütteln in Besprechung Hände, © iStockbygetty/Martin Barraud
Die Flexibilität und Unabhängigkeit des Interim-Managers eröffnen oft neue Perspektiven.

Interim-Management ist sinnvoll, wenn ein Unternehmen eine Führungsunterstützung benötigt. Es hilft auch, eine temporäre Führungslücke zu schliessen. Und man kann damit eine spezifische Erfahrung mit entsprechendem Know-how „einkaufen“. Wir sprachen darüber mit Martin Schneider von Brainforce.

hub: Wann ist der Einsatz eines Interim-Managers sinnvoll?

Martin Schneider: Die Beispiele für den Einsatz eines Interim-Managers sind vielfältig. Ein Beispiel ist die punktuelle Unterstützung in der operativen Umsetzung einer neuen Geschäftsstrategie. Und das mit Führungskräften, die in der jeweiligen Situation erfahren, unvoreingenommen und unpolitisch agieren. Oder ein CFO verlässt das Unternehmen mit Jahresende. Der über Executive Search gefundene Nachfolger sagt ab. Ein Interim-CFO übernimmt kurzfristig und stellt den Jahresabschluss sicher. Auch die Vertretung eines weiblichen Personalvorstandes während des Mutterschaftsurlaubs oder die Projektleitung beim Aufbau eines neuen Werkes in Osteuropa bzw. Asien sind Beispiele. Auch Werksverlagerungen oder die Erhöhung der Produktivität und Verbesserung der Qualität in einem Produktionswerk eines mittelständischen Automobilzulieferers können damit erreicht werden.

hub: Was sind die Vorteile von Interim-Management?

Schneider: Einerseits ist es die sofortige Verfügbarkeit. Ein Qualitäts-Dienstleister im Bereich des Interim-Managements kann aufgrund seines Führungskräfte-Pools innert weniger Tage eine perfekt passende Führungskraft einsetzen. Deshalb ist die Grösse eines Pools von grosser Bedeutung.
Andererseits können die Unvoreingenommenheit und rein der Sache verpflichtete Handlungsweise in schwierigen Situationen Wunder bewirken. Weiters verleiht die überdurchschnittliche Führungs- oder Fachfunktionserfahrung mit nachweisbarem Branchen/Industrie-Best-Practice-Know-how von mind. 10 bis 20 Jahren einem Unternehmen neue Impulse. Das führt oft rascher zu neuen Lösungen, als es jemand aus den eigenen Reihen erreichen könnte.

hub: Was sind die Beweggründe, als Interim-Manager zu arbeiten?

Schneider: Im deutschsprachigen Raum Europas sind schätzungsweise 10.000 bis 20.000 Interim-Manager unterwegs, je nachdem, wo die Grenze zur Zeitarbeit gezogen wird. Sie sind typischerweise 45- bis 60-jährig, haben unternehmerische Denk- und Handlungsweise. Sie suchen Herausforderungen und können mit Routine-Jobs nichts anfangen. Führungskräfte, die ihre Stelle verloren haben und nun wieder eine neue Festanstellung suchen, werden im Selektionsverfahren eines Interim-Management-Dienstleisters übrigens nicht berücksichtigt. Sich für eine Tätigkeit als Interim-Manager zu entscheiden ist eine Lifestyle-Frage. Immer mehr Führungskräfte bevorzugen ein flexibleres Leben. Sie wollen sich nicht mehr mit „interner Politik“ in Unternehmen herumschlagen. Ein schönes Beispiel ist einer unserer Interim-PPS-Leiter (PPS = Produktionsplanung und -steuerung): Sein grosses Steckenpferd ist das Bereisen der Welt mit seinem ausgebauten Camper. So reist er zwischen seinen Mandaten mit seiner Frau im Camper zum Beispiel von Europa nach Nepal oder nach Südafrika. Etwa einen Monat, bevor er wieder nach Europa zurückfliegt und den Camper zurückverschiffen lässt, meldet er sich und sagt, dass er in Kürze wieder für ein Mandat als Interim-Manager verfügbar wäre.

hub: Wie lange dauert der durchschnittliche Einsatz?

Schneider: Durchschnittlich dauert ein Mandatseinsatz sechs bis neun Monate. Das geht von einigen Tagen im Monat bis zu Fast-Vollzeiteinsätzen, über die Monate hinweg auch bedarfsabhängig gestaltbar. Projektleitungen dauern in der Regel sechs bis neun, Führungskräfte-
Überbrückungen drei bis sechs Monate. Projekte im Zusammenhang mit Post-
Merger-Integration, Reorganisation/Restrukturierung oder mit der Neuausrichtung einer Tochtergesellschaft im Ausland können über ein Jahr dauern.

hub: Sind die Manager Zeitarbeiter?

Schneider: Interim-Management unterscheidet sich am klarsten in dem Punkt von der Zeitarbeit, dass Interim-Management die Übernahme von operativer Führungsverantwortung auf mittlerer und oberer Führungsebene enthält. Der Manager übernimmt operative Führungsverantwortung typischerweise in den Funktionen CEO/Geschäftsführer, Business-Unit-Leiter, CFO/Leiter Controlling, COO/Werks-/Produktionsleiter, Vertriebsleiter, Personalleiter, Leiter IT, Leiter Forschung&Entwicklung, Leiter Supply Chain/Einkauf, Leiter Qualität oder als Projektleiter in diversen Disziplinen. Zeitarbeiter führen fachliche Aufgaben ohne eigentliche Führungsverantwortung aus.

Auch in rechtlicher Hinsicht gibt es einen wichtigen Unterschied. Im Gegensatz zur Personalüberlassung bei Zeitarbeitern ist Interim-Management vertraglich stets ein Dienstleistungs-/Auftragsverhältnis mit entsprechender Gestaltungsfreiheit bezüglich Einsatzzeit und anderer Kriterien. Im Gegensatz zur nicht verbindlichen Beratung steht beim Interim-Management die vollverantwortliche Umsetzung im Vordergrund. Es ist das Erarbeiten von Konzepten, Ausarbeiten von Massnahmen und die konkrete Umsetzung, nicht nur in einem „Steering Committee“, sondern operativ darunter.

Ein Interim-Manager verfügt in den allermeisten Fällen über eine eigene GmbH und wird am sichersten über ein professionelles Interim-Management-Dienstleistungsunternehmen eingesetzt. So entsteht für das Kundenunternehmen kein Scheinselbstständigkeits-Risiko.

hub: Was sind erfolgreiche Beispiele für Interim-Management?

Schneider: Ein grosses industrielles Mittelstandsunternehmen mit über 500 Millionen Euro Umsatz hatte eine seit Jahren verlustbringende Tochtergesellschaft in Russland (kleine Fertigung und eine Vertriebs- und Serviceorganisation mit insgesamt etwa 50 Mitarbeitenden). Aufgrund gewisser Verdachtsmomente wurde der Geschäftsführer in Moskau durch einen unserer russischen Interim-Geschäftsführer ersetzt. Dieser schaffte in 18 Monaten den Turnaround: finanzielle Transparenz, Verbesserung der internen Prozesse, Motivierung der Mitarbeiter, Produktivitätserhöhung usw. Als Konsequenz des „Aufräumens“ reduzierte sich der Jahresumsatz zwar um 40 %, dafür erreichte unser Interim­-Manager während seiner Mandatsperiode die operative Gewinnschwelle des Unternehmens. Anschliessend stellte das Unternehmen einen permanenten neuen Geschäftsführer ein. Das Unternehmen ist seither bereits vier Jahre lang profitabel geblieben.

Ein weiteres Beispiel ist die Verlagerung einer ganzen Produktionslinie eines renommierten europäischen Kabelherstellers nach China. Unser Interim-Projektleiter plante, organisierte und führte das gesamte Verlagerungsprojekt bis zur Betriebsaufnahme in China. Die Kunden spürten nichts von der Verlagerung, obwohl die Produktion für die Dauer von sechs Monaten unterbrochen war. Unser Interim-Manager war auch noch das erste halbe Jahr als Produktionsleiter in China tätig. Dann war der geeignete lokale Werksleiter identifiziert. Unser Interim-Manager hat ihn auch solide eingeführt. Das Projekt wurde zeitgerecht und im Budgetrahmen abgeschlossen.

hub: Wie sehen Sie die Zukunft des Interim-Managements?

Schneider: Das Zeitalter der Digitalisierung und disruptiven technologischen Entwicklungen aller Art zwingt Unternehmen, agiler und flexibler zu werden. Man muss noch rascher in der Umsetzung von immer häufiger anzupassenden Strategien werden. Interim-Management ist ein hervorragendes Management-Werkzeug, welches einem Unternehmen diese Handlungsfähigkeit rasch und unkompliziert in die Hand gibt. Die Marktgrösse des Interim-Managements im deutschsprachigen Raum Europas wird auf rund 2 Mrd. Euro geschätzt. In den vergangenen zehn Jahren lag das Umsatzwachstum in der Grössenordnung von 10 % pro Jahr. Das Wachstum im Umsatz hat sich in den vergangenen Jahren etwas abgeschwächt, nicht aber die Anzahl der Mandate. Die Tagessätze sind dafür rund 30 % tiefer als noch vor zehn Jahren für dieselbe Leistungserbringung.

hub: Vielen Dank für das Gespräch!

 

Martin Schneider

Martin Schneider, Inhaber der BRAINFORCE Gruppe, © BRAINFORCE

ist CEO der im Jahre 1979 gegründeten BRAINFORCE Gruppe, eines führenden europäischen Interim-Management- Dienstleistungsunternehmens mit Sitz in Zürich. BRAINFORCE ist an zehn Standorten weltweit tätig und verfügt über einen Pool von über 5.000 Top-Führungskräften und Spezialisten sowie über Berater mit Führungspraxis. Martin Schneider ist Dipl.-Ing. ETH Zürich, verfügt über einen M.S. der Univ. of California und einen M.B.A. der Stanford University. Seine berufliche Laufbahn umfasst acht Jahre bei Motor-Columbus Consulting Engineering, zehn Jahre in führenden Positionen im Energiegeschäft bei ABB und ALSTOM sowie zwei Jahre bei einem amerikanischen Sicherheitstechnikunternehmen als dessen Restrukturierungs-CEO. Seit 2004 leitet er, seit 2007 ist er Inhaber der BRAINFORCE Gruppe.

FOTOS: iStockbygetty/Martin Barraud, BRAINFORCE

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